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„Niemand hat auch nur die geringste Ahnung…“ außer anscheinend der Markt
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Global Equity Observer
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Januar 29, 2024
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Januar 29, 2024
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„Niemand hat auch nur die geringste Ahnung…“ außer anscheinend der Markt |
Das berühmte Zitat des Schriftstellers William Goldman bezog sich auf das Filmgeschäft: „Niemand hat auch nur die geringste Ahnung… Nicht eine Person im gesamten Filmgeschäft weiß mit Sicherheit, was funktionieren wird. Jedes Mal ist es nur eine Vermutung, und wenn man Glück hat, keine allzu vage.“
Goldman war der Drehbuchautor für eine Reihe von Klassikern, darunter „Die Unbestechlichen“, „Der Marathon-Mann“, „Zwei Banditen“ und „Die Frauen von Stepford“. Doch wie weise dieser Spruch ist, zeigt der unfassbare Misserfolg seines größten und (nach Meinung des Autors) wohl besten Films aller Zeiten: „Die Braut des Prinzen“. Dieser war bei seiner Veröffentlichung ein Flop, genießt aber inzwischen Kultstatus.
Das Jahr 2023 war ein Jahr, das angesichts der verwirrenden Abfolge von Paradigmenwechseln nahelegte, dass niemand so richtig wusste, wohin die Reise ging. Alles begann mit der Angst vor einer Rezession, gefolgt von der Erwartung auf anhaltend hohe Zinssätze, wobei der zum Jahresende erwartete Leitzins in den USA bis März von 4,5% auf 5,5% ansteigen sollte. Die Silicon Valley Bank kollabierte im Frühjahr und löste Bedenken hinsichtlich einer Kreditkrise aus. Als diese Ängste jedoch nachließen, kam an den Märkten angesichts der Hoffnung auf einen durch Künstliche Intelligenz (KI) ausgelösten Produktivitätsboom Enthusiasmus auf. Im Herbst war die Annahme von „längerfristig höheren Zinsen“ erneut stärker, da sich der für Ende 2024 erwartete Leitzins auf 5% zubewegte, worunter Aktien zu leiden hatten. Das Jahr endete mit einer „Fed-Kehrtwende“, als die US-Notenbank ihren Ton abrupt änderte und die Erwartungen auf sechs bis sieben Zinssenkungen im Jahr 2024 zunahmen. Daraufhin erlebten die Märkte neun Wochen in Folge Kursgewinne.
Der Physiker Niels Bohr hatte in der Tat Recht, als er behauptete, dass „Prognosen äußerst schwierig sind, besonders, wenn sie die Zukunft betreffen“. Im Moment sind sie sogar noch schwieriger als sonst, weil „Long Covid“ – in Form der anhaltenden Auswirkungen der Pandemie – die Volkswirtschaften nach wie vor beeinträchtigt. Sowohl massive Störungen auf der Angebotsseite als auch die beträchtlichen Eingriffe der Regierungen auf der Nachfrageseite verursachen unvermindert hohe Wellen. Die Ausgaben für Waren stiegen während der Pandemie sprunghaft an. Nach der Wiedereröffnung waren dann Dienstleistungen gefragt. All dies führte, zusammen mit den Problemen in den Lieferketten, zu einer Inflation der Warenpreise, vor allem bei Autos. Später folgte eine Inflation im Dienstleistungssektor, da die Unternehmen die Bezahlung für die Neueinstellung der während der Pandemie entlassenen Mitarbeitenden erhöhen mussten. Die Verlagerung von Gütern auf Dienstleistungen führte dazu, dass die güterorientierten Frühindikatoren, die zur Vorhersage von Rezessionen verwendet werden, fälschlicherweise eine Rezession für das Jahr 2023 vorhersagten. Gleichzeitig versuchen Analysten zu berechnen, wie lange die „überschüssigen Ersparnisse“, die sich in den USA (dank der massiven staatlichen Konjunkturanreize) während der Pandemie angehäuft haben, ausreichen werden, um den derzeit hohen Konsum bei sehr niedrigen Sparquoten aufrechtzuerhalten. All dies gilt es zu berücksichtigen, ganz zu schweigen von den Unsicherheiten aufgrund der Auswirkungen des europäischen Energieschocks, der seither durch den Krieg zwischen Russland und der Ukraine eintrat, sowie der Möglichkeit eines ausgeweiteten Konflikts im Nahen Osten.
Diejenigen, die zu Optimismus neigen, können dem Jahr 2024 hingegen viel Positives abgewinnen. Die Inflation scheint mittlerweile rasch nachzulassen, ohne dass die Arbeitslosigkeit, die in den USA weiterhin unter 4% liegt, nennenswert ansteigt.1 Das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den USA wird nun für 2023 auf 2,3% geschätzt, während die Prognosen Ende 2022 noch bei null lagen.2 Die Schätzung für 2024 ist inzwischen auf 1,3% gestiegen und damit doppelt so hoch wie noch im Sommer veranschlagt, während sich das Vertrauen der Konsumten endlich verbessert, was unter Umständen auch den steigenden Reallöhnen zu verdanken ist. Die Fraktion, die immer davon ausging, dass die hohe Inflation nur vorübergehend war, scheint also das Inflationsargument zu gewinnen, was vielleicht die unlängst akkommodierende Rhetorik der Fed erklärt. Die generative KI scheint einen Produktivitätsboom (gut im Kampf gegen die Inflation) und kurzfristig einen Investitionsboom in Aussicht zu stellen, da die sogenannten „Hyperscaler“ frenetisch daran arbeiten, die Kapazitäten von Rechenzentren zu erhöhen, um die Nachfrage zu bedienen, während der US-amerikanische CHIPS and Science Act sowie seine ausländischen Äquivalente Anreize für den Bau von Halbleiterfabriken schaffen. Die sogenannten „Glorreichen Sieben“3 oder mindestens die fünf unter ihnen, die 2023 ein Gewinnwachstum verzeichneten, dürften weiterhin die Erträge ankurbeln.
Eine etwas negativere Sichtweise würde darauf hinauslaufen, dass die US-Wirtschaft die begehrte sanfte Landung noch nicht geschafft hat und das Flugzeug möglicherweise zu früh oder zu spät zur Landung angesetzt hat. Sanfte Landungen sind selten, denn drei Viertel der geldpolitischen Straffungsphasen seit dem Zweiten Weltkrieg endeten in den USA in einer Rezession. Die Lage am Arbeitsmarkt ist nach wie vor angespannt: Die Arbeitslosigkeit liegt unter 4%, und das von der Federal Reserve Bank of Atlanta ermittelte Lohnwachstum liegt immer noch bei über 5%. Daher dürfte die Inflation im Dienstleistungssektor wohl nur schwer zu überwinden sein, während sie im Gütersektor bereits bei null liegt. Andererseits haben die negativen Auswirkungen der jüngsten Zinserhöhung um 525 Basispunkte möglicherweise noch immer nicht ganz durchgeschlagen: In der Vergangenheit machten sie sich gewöhnlich mit einer Verzögerung von ein bis zwei Jahren vollständig bemerkbar. Darüber hinaus könnte es immer noch zu Verwerfungen im Finanzsystem kommen, da wir das Umfeld des „kostenlosen Geldes“ hinter uns lassen. Auch außerhalb der USA gestalten sich die Rahmenbedingungen nicht gerade rosig: Die europäischen Volkswirtschaften stehen kurz vor dem Stillstand (für 2024 wird ein Wachstum von weniger als 1% prognostiziert) und die Einkaufsmanagerindizes befinden sich auf negativem Terrain. China kämpft weiterhin mit den massiven Nachwirkungen seines jahrzehntelangen Immobilienbooms und einer möglicherweise langfristigen Trüber der Konsumentenstimmung, da fallende Wohnungspreise im Verbund mit rückläufigen Aktienkursen das Vermögen der Privathaushalte nach den jüngsten Belastungen durch die Pandemie weiter beeinträchtigen. Abgesehen davon könnte ein anhaltender Rückgang der Inflation die Gewinnspannen der Unternehmen unter Druck setzen, wenn diese nun Schwierigkeiten haben, die Preise zu erhöhen, selbst wenn eine Rezession vermiedn wird. Das gilt vor allem, wenn sich der Lohndruck als hartnäckig erweisen sollte. All dies muss vor dem Hintergrund eines unbeständigen geopolitischen Umfelds berücksichtigt werden, in dem außerdem in 64 Ländern zwei Milliarden Menschen in diesem Jahr zur Wahl gehen.
Wir sind uns noch nicht sicher, wo die Weltwirtschaft innerhalb des Spektrums zwischen Optimismus und Pessimismus letztlich landen wird. Unseres Erachtens ist jedoch der Markt eindeutig optimistisch eingestellt. Die Gewinne der Unternehmen im MSCI World Index werden 2024 den Prognosen zufolge um fast 10% und 2025 um mehr als 11% zulegen.4 Angesichts eines für 2024 erwarteten nominalen BIP-Wachstums in den Industrieländern von 3% bis 4% erscheint uns diese Annahme anspruchsvoll, denn sie legt nahe, dass die Gewinnspannen, die bereits nahe der Höchstständen liegen, weiter steigen müssen. Negativ zu vermerken ist, dass der S&P 500 Index in allen elf Rezessionen in den USA seit dem Zweiten Weltkrieg zweistellige Rückgänge verzeichnete, im Durchschnitt um die 30%.5 Zudem erscheinen uns die Bewertungsmultiplikatoren basierend auf diesen möglicherweise optimistischen Gewinnen hoch. Der MSCI World Index beendete das Jahr 2023 mit einem Forward-KGV von 17,3 basierend auf den Gewinnen der nächsten zwölf Monate und der S&P 500 mit einem Forward-KGV von beinahe 20. Selbst ohne die ungestümen „Glorreichen Sieben“ lag das KGV für den MSCI World bei 15,9 und damit um mehr als 10% über dem Durchschnitt der Jahre 2003-19, einschließlich der sogenannten „Wachstumsstarken Sieben“.6 Diese Gesamtkonstellation ist für uns eine ungünstige Asymmetrie, bei der das Aufwärtspotenzial aufgrund der ehrgeizigen Gewinnschätzungen und der hohen Multiplikatoren begrenzt ist, während es im Falle einer Rezession ein ausgeprägtes Abwärtspotenzial geben könnte. Es könnte also durchaus sein, dass sich der Marktboom von 2023 lediglich künftige Renditen eingeheimst hat.
Laut Platon behauptete Sokrates: „Ich bin der weiseste Mensch auf Erden, denn ich weiß eines, nämlich, dass ich nichts weiß.“ Wäre er nicht von den Athenern hingerichtet worden, sondern hätte (wie durch ein Wunder) bis ins 21. Jahrhundert überlebt, hätte Sokrates unserer Meinung nach in Kapitalvermehrer investiert. Obwohl er arrogant genug war, zu behaupten, er sei schlauer als alle anderen, wäre er doch auch bescheiden genug gewesen, nicht auf das unstete makroökonomische Umfeld zu setzen. Stattdessen hätte er wohl in Unternehmen investiert, die über Preismacht und wiederkehrende Einnahmen verfügen, um auch in wirtschaftlichen Abschwüngen wie 2020 robuste Gewinne zu erwirtschaften, und im Falle rückläufiger Kennzahlen, wie im Jahr 2022, vernünftige Bewertungen aufweisen. Dieser Anlageansatz profitiert nicht immer von Phasen des Überschwangs am Markt, was schon gar nicht auf das Jahr 2023 zutraf, wenngleich die absoluten Renditen in dem von uns so geschätzten hohen Zehnerbereich durchaus robust ausfielen. Die kurzfristigen relativen Renditen können wir mit unserem Anlageansatz nicht kontrollieren, und 2023 hat es relativ gesehen sicher nicht funktioniert. Langfristig besteht der Trick – wie immer – darin, an den robusten langfristigen Renditen festzuhalten, wenn die Märkte ins Schwanken geraten.
Investitionen in Kapitalvermehrer aus den defensiveren Sektoren Basiskonsumgüter und Gesundheitswesen waren im Jahr 2023 kostspielig, da unsere globalen Portfolios Sektoren insgesamt besonders stark gewichteten, die im Jahresverlauf um 20% hinter dem Index zurückblieben. Andererseits führte diese defensive Übergewichtung dazu, dass wir bei den sogenannten „Glorreichen Sieben“, die das Jahr mit einer Rendite von mehr als 60% beherrschten, eine untergewichtete Positionierung aufwiesen: Die Tatsache, dass wir nur einen oder zwei der sieben Titel in unseren Portfolios hielten, schmälerte folglich unsere relative Performance. Unsere Anlagephilosophie schließt es derzeit aus, in mehrere der „Glorreichen Sieben“ zu investieren. Das multinational tätige US-Technologieunternehmen, das sich unter anderem auf E-Commerce und Cloud Computing konzentriert, erwirtschaftet nach Abzug der aktienbasierten Vergütungen keinen nennenswerten freien Cashflow und erzielt keine angemessene Rendite auf das Betriebskapital. Das Social-Media-Unternehmen in den USA schaffte es, den Gewinn pro Aktie von 16 USD per Ende 2021 im Jahr 2023 zu replizieren, nachdem dieser 2022 auf 8 USD zurückgegangen war, von Zweifeln am langfristigen Geschäftsmodell und an der Corporate Governance ganz abgesehen. Das multinational tätige US-Unternehmen in den Bereichen Automobile und saubere Energien verdoppelte im Schnitt seinen Aktienkurs 2023, obwohl sich die Prognosen zu den Gewinnen für das Jahr gegenüber ihrem Höchststand halbierten. Andernorts herrschen eher Bewertungsbedenken vor. Das US-Unternehmen für Grafikprozessoren und Chipsysteme wurde mit einem KUV von 27 bewertet, und ein Forward-KGV von 30 für das multinational tätige US-Technologieunternehmen schien happig für ein Unternehmen, das sich schwertut, seine Umsätze zu steigern, und von einem einzigen Produkt abhängig ist, auch wenn der Anstieg bei den Einnahmen für wiederkehrende Dienstleistung zu begrüßen ist. Das bedeutet nicht, dass diese Unternehmen gegenüber ihren aktuellen Niveaus keine hervorragenden künftigen Renditen erwirtschaften werden, sondern nur, dass sie nicht in die Methodik unserer hochwertigen Portfolios passen, bei denen wir äußerst pedantisch vorgehen und uns der Nachhaltigkeit sowohl der Erträge wie auch der Bewertungskennzahlen widmen. Die konsequente Einhaltung dieser Philosophie und Methodik ist seit mehr als einem Vierteljahrhundert die Grundlage für eine erfolgreiche Kapitalvermehrung, und wir haben die feste Absicht, daran festzuhalten. Wir möchten Sie dazu ermutigen, dasselbe zu tun ... und sich bei Gelegenheit „Die Braut des Prinzen“ anzusehen.
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Managing Director
International Equity Team
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