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GLP-1: Die Last der Spekulation
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Global Equity Observer
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Dezember 28, 2023
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GLP-1: Die Last der Spekulation |
Adipositas ist eine der am weitesten verbreiteten Gesundheitsrisiken. Es wird erwartet, dass im Jahr 2035 fast ein Viertel der Weltbevölkerung als adipös gelten, im Jahr 2020 waren es lediglich 14%.1 Abgesehen von den psychischen und physischen Folgen für die Individuen hat Adipositas auch weitreichende Auswirkungen auf die Weltwirtschaft: Die negativen makroökonomischen Auswirkungen werden auf 3,6% des US-Bruttoinlandsprodukts geschätzt, mit potenziellen indirekten Kosten in Höhe von 1,24 Billionen US-Dollar durch Produktivitätsverlusten.2
Das Aufkommen von GLP-1-Medikamenten hat branchenübergreifend für Aufsehen gesorgt. Wir bleiben aber nach wie vor zuversichtlich, was ihre Auswirkungen auf unsere Portfolios betrifft.
GLP-1-Medikamente (Glucagon-Like-Peptide-1) werden als wegweisend im Kampf gegen Adipositas gesehen, weshalb einige Hersteller nach den jüngsten Zulassungen durch die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) ihre Kapazitäten ausbauen.3
GLP-1 ist ein natürliches Hormon, das nach der Nahrungszufuhr im Darm und im Gehirn freigesetzt wird. Es hilft bei der Regulierung des Blutzuckerspiegels, indem es die Insulin produzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse stimuliert, wenn dieser zu hoch wird. GLP-1-Analoga gibt es seit 2010, hauptsächlich zur Behandlung von Typ-2-Diabetes. Was ist nun neu? Bisher erreichte das injizierte GLP-1 die Bauchspeicheldrüse nicht, da es nicht lang genug im Körper verblieb. Mit den neuen Medikamenten auf dem Markt ist es gelungen, dieses Problem zu lösen. Dies ist ein bedeutender Fortschritt bei der Bekämpfung von Adipositas: Studien zeigen, dass sich damit das Körpergewicht um 10% bis 20% und die Nahrungsaufnahme um bis zu 50% verringern lassen. Ferner meiden die Patienten bei der Einnahme von GLP-1-Präparaten unter Umständen stärker verarbeitete Lebensmittel und Snacks. Patienten haben außerdem anekdotisch von einem Rückgang des Konsums von Alkohol, Drogen und Tabak berichtet, da GLP-1-Medikamente die Assoziation des Gehirns zwischen Reizen und Emotionen, die mit dem Genussempfinden verbunden sind, schwächen können.
Dies hat zu interessanten Studienergebnissen im Hinblick auf die potenziellen Auswirkungen eines weit verbreiteten Einsatzes dieser Präparate in verschiedenen Branchen geführt, etwa in Bezug auf Fluggesellschaften, die dank leichterer Passagiere künftig potenziell Treibstoff sparen werden.4 Der Markt hat unlängst wiederum die Hersteller von GLP-1-Medikamenten als unmittelbare Gewinner belohnt und Aktien aus den Bereichen Medizintechnik und der amerikanischen Lebensmittel- und Getränkeindustrie als Verlierer abgestraft. Als langfristige Investoren, die detaillierte Bottom-up-Analyse erstellen, sind wir der Ansicht, dass die mittel- bis langfristigen Auswirkungen auf unsere Portfolios minimal sein werden. Wir unterschätzen deshalb aber keineswegs die breiteren Auswirkungen. Derzeit nehmen weniger als 1% der US-Bevölkerung GLP-1-Medikamente zur Gewichtsabnahme ein, während etwa 30% der US-Bevölkerung im klinischen Sinne als adipös gelten. Der Einfachheit halber gehen wir davon aus, dass im Jahr 2034 etwa 10% der US-Bevölkerung das Medikament einnehmen werden.
Basiskonsumgüter
Einige Analysten schätzen, dass GLP-1-Präparate die Kalorienaufnahme um 15% bis 20% reduzieren könnten. Wenn man diese Zahl hochrechnet und davon ausgeht, dass bis zum Jahr 2030 rund 25 bis 50 Millionen Amerikaner dieses Medikament einnehmen werden, könnte sich die Kalorienaufnahme des Landes um insgesamt 1% bis 3% verringern.5 Selbst wenn noch nicht eindeutig erwiesen ist, dass GLP-1-Medikamente den Konsum in diesen Produktkategorien negativ beeinflussen, könnte das Aufkommen dieser neuen Art von Medikament die Lebensmittel- und Getränkeindustrie in den USA erheblich daran hindern, künftig Wachstumsraten im mittleren einstelligen Bereich zu erzielen. Der Markt hat sein Urteil bereits gefällt: Der US-Teilsektor Lebensmittel, Getränke und Tabak ist seit Jahresbeginn um 9,9% gefallen und wird mit einem KGV-Abschlag von mehr als 10% gegenüber dem allgemeinen US-Markt gehandelt.6
Was die Auswirkungen auf unser Portfolio betrifft, so halten wir keine Lebensmittelhersteller, da wir diese als Unternehmen mit schwachen Wachstumsraten und Renditen sowie begrenzter Preissetzungsmacht erachten. Ein multinational tätiger US-Hersteller von alkoholfreien Getränken, in dem wir investiert sind, mag auf den ersten Blick ein Beispiel für ein gefährdetes Unternehmen sein, eine Bewertung des Geschäftsmodells deutet aber auf das Gegenteil hin. Fast 70% seines Produktmixes bestehen aus kalorienfreien oder kalorienarmen Getränken, d.h. Kategorien, die weniger betroffen sein dürften, während rund 80% des Umsatzes außerhalb der USA erzielt werden,7 wo sich diese Präparate weniger schnell durchsetzen könnten. Im Zusammenhang mit Tabak und Alkohol scheint zwar ein gewisses Risiko zu bestehen, aber der Nachweis, dass sich GLP-1-Medikamente negativ auf den Konsum in diesen Kategorien auswirken, steht noch aus.
Gesundheitswesen
Im Gesundheitswesen zählen zu den unmittelbaren Gewinnern diejenigen Unternehmen, die GLP-1-Medikamente herstellen, wobei einer der beiden Hauptanbieter inzwischen mehr wert ist als die gesamte dänische Volkswirtschaft.8 Wir halten diese Unternehmen nicht in unseren globalen Portfolios, da Pharmaunternehmen in der Regel nicht unseren hohen Qualitätskriterien entsprechen. Obwohl sie mit einem patentierten Medikament wie etwa GLP-1-Analoga beträchtliche Gewinne erwirtschaften können, sind diese Einnahmen letztlich an den Patentschutz gebunden. Läuft das Patent aus, können Umsatz und Gewinn durch die Konkurrenz von Generika dezimiert werden. Dieses Problem wird zusätzlich verschärft, wenn der Unternehmenserfolg von einer kleinen Anzahl an Medikamenten abhängig ist.
Die potenziellen Auswirkungen auf Anbieter von Life-Science-Produkten und Gesundheitsausrüstung sind für unsere Portfolios von größerer Bedeutung. Unseres Erachtens könnten die negative Kursreaktion zumindest bei einigen Produkten für Diabetiker übertrieben sein: Schließlich müssen diese Patienten auch weiterhin ihren Blutzuckerspiegel überwachen und ihre Medikamente einnehmen. Ein Medizintechnik- und Gesundheitsunternehmen, an dem wir Beteiligungen halten, berichtete kürzlich, dass Patienten, die ihre Blutzuckermessgeräte parallel zur Einnahme von GLP-1-Medikamenten verwendeten, eine insgesamt höhere Therapietreue aufweisen. In der Zwischenzeit konnte ein Anbieter klinischer Studien, in dem wir investiert sind, von seiner Beteiligung an GLP-1-Medikamentenstudien profitieren und könnte auch weiterhin während des gesamten Lebenszyklus der Medikamente davon profitieren, wenn die Hersteller „reale“ Nachweise, d.h. Nutzungsmuster und Nebenwirkungen, überwachen wollen. Ein weiterer unserer Titel, ein amerikanischer Anbieter von Technologie-, Pharma- und Biotechnologiedienstleistungen, könnte von der Bereitstellung der sterilen Injektionsmittel für GLP-1-Medikamente profitieren. Weitere sekundäre Vorteile ergeben sich möglicherweise für seine Laborausrüstungssparte und den Verkauf biowissenschaftlicher Reagenzien im Falle von F&E-Reinvestitionen aufgrund höherer Umsätze im Gesundheitssektor.
Die Last der Spekulation
Während die Begeisterung rund um die GLP-1-Analoga anhält, sind die langfristigen Nebenwirkungen der Medikamente noch nicht bekannt. Erste Studien legen einen Zusammenhang zwischen GLP-1-Medikamenten und gastrointestinalen Nebenwirkungen und/oder dem Verlust von Muskelmasse nahe. Die FDA hat zudem eine Überprüfung angekündigt, nachdem einige Anwender über Depressionen berichteten. Die Medikamentenhersteller arbeiten bereits an Verbesserungen, um diese Probleme zu lösen. Aus praktischer Sicht können Produktionskapazitäten und Faktoren in Bezug auf die Kostenrückerstattung durch Versicherungen den Grad der Marktdurchdringung mindern, ganz zu schweigen von der Zeit, die es dauern kann, bis die höchste Marktdurchdringung erreicht ist: Im Falle der Statine dauerte dies 20 Jahre.9 Die US-Versicherungsgesellschaften werden dabei eine wesentliche Rolle spielen, da die Akzeptanz auch davon abhängt, inwieweit sie bereit sind, die Kosten für verschriebene Medikamente zu übernehmen. Außerhalb der USA hängt die Akzeptanz ebenfalls davon ab, ob die Gesundheitssysteme bereit sind, die Kosten zu übernehmen, und ob die örtlichen Aufsichtsbehörden das Medikament überhaupt genehmigen.
Das Aufkommen von GLP-1-Medikamenten hat branchenübergreifend für Aufsehen gesorgt. Wir bleiben aber zuversichtlich, was die Auswirkungen auf unsere Portfolios betrifft, und werden die weiteren Entwicklungen im Auge behalten. Auf lange Sicht werden die Fundamentaldaten der Unternehmen, ihr künftiges Ertragspotenzial sowie die Nachhaltigkeit ihrer langfristigen Renditen von Bedeutung sein.
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Managing Director
International Equity Team
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Vice President
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